Anna denkt nach, Anna schreibt, Miniaturen

Ferientag

3. Januar. Donnerstag. Max Buddenbohm über Komfortzonen und wie das Drinnen von Draußen aussieht: Wohl und sicher

„Wenn ich durch abendliche Straßen gehe und in fremde Fenster sehe, dann unterstelle ich anderen Menschen stets mehr Gemütlichkeit, Entspanntheit und Sicherheit, als ich normalerweise selbst zur Verfügung habe.“

Das erlebe ich auch extrem zwischen meinen beiden Heimaten: Dem Stadt-Zuhause und dem Dorf-Zuhause. Bin ich im einen, erscheint mir das andere plötzlich als Inbegriff all dessen, was ich im einen vermisse. Und umgekehrt.

So habe ich mir beispielsweise meinen aktuellen Dorf-„Urlaub“ etwa so vorgestellt: Es ist grau und kalt, aber drinnen ist es warm, auf Wunsch hell oder schummrig, ich verbringe den Tag lesend im Sessel, neben mir einen Teller Kekse und einen Becher Tee oder Kaffee. Ab und zu sitze ich mal ein Stündchen am Computer, wühle in alten Dokumenten und erforsche Nebenzweige unseres Familienstammbaums, oder ich stelle ein paar Fotos online oder bastele an einem Jahresrückblick in Bildern aka Fotobuch. Es gibt gutes Essen, nachmittags kommt im Fernsehen ein guter Film, ich mache ein Nickerchen auf dem Sofa und erwache ausgeruht und voller Tatendrang. Das Haus ist sauber und ordentlich, vormittags mache ich einen langen Spaziergang, der mich körperlich erschöpft, aber mir viele neue Eindrücke, Ideen und Fotos einbringt, die ich nachmittags, nach meinem Schläfchen, durchsehe. Ich habe Zeit zum Nachdenken und plane mein Jahr bzw. die nächsten Wochen. Alles sehr entspannt, die Tage sind endlos und ich bin gut gelaunt, ja geradezu in Feiertagsstimmung.

Und so sieht das in der Realität aus: Ich bin um sechs Uhr morgens wach und unausgeschlafen, weil H. die halbe Nacht geschnarcht hat und ich zu faul war, ins andere Zimmer umzuziehen. Dann sitze ich bis zehn Uhr am Rechner, lese das Internet leer und frage mich am Ende, wo zum Teufel der Vormittag hin ist, ich habe doch noch gar nichts gemacht.
Wenn ich nach Frühstück und Abwasch gegen Mittag endlich soweit bin rauszugehen, regnet es. Sowieso ist es fies feuchtkalt, so dass ein Spaziergang so ziemlich das Letzte ist, was ich machen will. Das schlechte Gewissen meldet sich: Vielleicht wäre es doch ganz gut, „entspannt“ ein Stündchen zu arbeiten? Nur damit es nächste Woche nicht so stressig wird, weil dann wieder alle auf einmal was von mir wollen…? Ich setze mich also widerwillig wieder an den Computer und gehe die anstehenden Projekte durch, von denen mich keins, aber auch gar keins, auch nur im mindesten reizt. Stattdessen fallen mir ungefähr zehn Sachen ein, die ich „eigentlich“ auch noch dringend machen müsste bzw. bis Jahresende schon hätte erledigen müssen. Die meisten haben was mit Ämtern, Formalkram, Unterlagen, Anträgen, Formularen und ähnlich anregenden Dingen zu tun.
Inzwischen ist es zwei Uhr und ich bin frustriert und müde. Also lege ich mich mit dem Buch aufs Sofa im Wohnzimmer. Nebenan fangen die drei Jungs an, die Treppen hoch und runter zu rennen. Unsere Reihenhäuschen sind nicht sonderlich massiv gebaut, und so hört sich das an, als stürmten sie im nächsten Moment durch mein Wohnzimmer. Ich ziehe die Decke über den Kopf und schlafe tatsächlich irgendwann ein. Anderthalb Stunden später erwache ich davon, dass mir die Spucke über die Backe läuft und sich das Kissen unangenehm nass anfühlt.
Es ist kurz vor vier, und ich bin völlig zerschlagen. Ich mache mir einen Kaffee, um wieder hochzukommen, werde aber die nächsten drei Stunden mit einem vernebelten Matschkopf im Wohnzimmer vor dem Laptop sitzen, den ich mir in einer Anwandlung von Pflichtbewusstsein heruntergeholt habe – Vielleicht doch noch ein Stündchen was Sinnvolles tun…? – und das wieder gefüllte Internet ein zweites Mal leer lesen. Oder eine Runde Str8ts spielen. Oder Fotos – ach nein, keine Lust.
Um acht kann ich endlich den Fernseher anmachen, Nachrichten noch einmal anschauen, die ich tagsüber im Internet verfolgt habe, und mich dann durch die dank Satellitenschüssel etwas über 60 Kanäle zappen, um irgendwo die sechste Wiederholung eines mittelmäßigen Films zu finden, der nur alle 20 Minuten von Werbeblöcken unterbrochen wird, die lang genug sind, aufs Klo zu gehen, eine Flasche Wasser aus dem Keller zu holen, kurz vor die Tür zu gehen, um zu schauen ob es aufgehört hat zu regnen, die Nachbarskatze zu begrüßen und im halben Haus die Rollläden herunterzulassen.
So quäle ich mich, bis ich um zehn Uhr endlich guten Gewissens ins Bett gehen und endlich „richtig“ schlafen kann.
Und zack ist wieder ein „Urlaubs“tag rum.

Heute habe ich daher bewusst dieses Muster unterbrochen, bevor es zur Routine werden kann: Habe H. nachts so getriezt, dass er freiwillig aufgewacht ist und selber ins andere Zimmer umgezogen ist. Bin dann sehr ausgeruht früh aufgestanden, habe nur die wichtigsten Blogs und Nachrichten überflogen und jeglichen Gedanken an Büroarbeit im Keim erstickt.
Nach Frühstück und Abwasch die Freundin angerufen und mich für einen Nachmittagsbesuch eingeladen – „Ich bringe Kuchen mit!“. Dann noch ein bisschen Fotos durchgesehen und Twitter gelesen, schließlich um halb zwei zu einem laaangen Spaziergang aufgebrochen.
Dabei war ich so dick eingemummelt, dass mir gar kein Wetter irgendwas hätte anhaben können, es war dann aber gar nicht so schlecht; nach morgendlichen 3mm Schnee war es kühl und feucht, aber der Himmel riss irgendwann auf, und in der Ferne tanzten Sonnenflecken auf der Landschaft, das war schön anzusehen. Dazu war es unglaublich ruhig draußen, kaum Spaziergänger oder Hundebesitzer unterwegs, nur Wind und Vögel waren zu hören und ab und zu in der Ferne ein Auto. Sehr entspannend.
Kurz vor drei stand ich beim Bäcker und kaufte ein ganzes Tablett voller Kuchen, das machte mir große Freude. Auf dem Weg ins Tal fühlte ich mich wie Rotkäppchen, das durch die Wildnis zum Haus der Großmutter stapft, um ihr gute Sachen zu bringen.
Bei der Freundin blieb ich bis sieben, verbrachte eine unterhaltame Stunde mit ihrem 17-jährigen Sohn und zwei mit dem Anhören ihrer momentanen Situation, dann brach ich mit dem restlichen Kuchen wieder auf, begleitet von ihr, die sich auch noch ein wenig „auslüften“ wollte.
So war das ein wunderschöner Ferientag, der meinem Ideal schon recht nahe kam – mal sehen, vielleicht schaffe ich morgen noch den häuslichen Teil mit Buch, Tee und Sessel…

Woran ich mich erinnern will:
Warte nicht auf andere, mache es selbst.

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