Anna denkt nach, Anna schreibt, Miniaturen

(Zu) viele Menschen

17. April. Mittwoch. Die letzten Tage im Dorf brechen an, und jetzt komme ich so langsam an, fällt der Stress von mir ab. Wohl auch, weil meine Termine mit der Freundin jetzt „erledigt“ sind, aber vor allem, weil Feiertage bevorstehen und arbeitsmäßig alle alles etwas ruhiger angehen.

Dennoch freue ich mich auch wieder auf B. Auf meine freitägliche Arbeitssitzung bei Kaffee und Kuchen. Darauf, meine eigenen Sachen auszumisten und dabei Platz in meinem Leben zu gewinnen. Auf einen festeren, ungestörteren Tagesrhythmus. Auf Frühling in der Stadt und auf Straßencafés. Auf mehr Ruhe und weniger Gedanken über anderer Leute Probleme.

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Irgendwie gingen mir heute zwei Stunden verloren, um halb vier stellte ich mit Schrecken fest, wie spät es schon ist (gefühlt war es etwa halb zwei). Ich verhandelte kurz mit mir selbst, ob ich mein Vorhaben einfach aufgeben und weiterarbeiten sollte, rappelte mich dann aber doch, zog mich um und spazierte ins Tal in den Nachbarort zum Ostermarkt.

Dort war es voller als erwartet, ich komplett überfordert, hungrig, zudem brannte die Sonne vom Himmel und es war gefühlt 10 Grad wärmer als bei uns oben auf dem „Berg“ und ich hoffnungslos zu warm angezogen.

Irgendwie gelang es mir, zwei Runden über den Markt zu drehen, dabei an zwei Ständen Wurst vom Lamm und vom Wildschwein zu erstehen, eine Bratwurst (Lamm) zu essen, Gewürze zu kaufen, Stände zu fotografieren und Brot und Gebäck zu besorgen, ohne komplett durchzudrehen.

Nach etwa 40 Minuten hastete ich zur Bushaltestelle, nur um dort eine Viertelstunde (statt der planmäßigen vier Minuten) auf den Bus ins Dorf zu warten. Erschöpft sank ich in den Sitz und wäre am liebsten nur aus dem Fenster schauend drei Stunden im Kreis gefahren.

Zu Hause ging es dann nahtlos weiter: Nachbar 1, Nachbar 2, Nachbar 3, kurzes Hallo, dann Einkäufe ausgepackt, Radler aus dem Keller geholt, kurz mit dem kleinen Molch geplaudert, der in unserem Gulli am Fuße der Kellertreppe wohnt (er teilt sein Heim mit zwei Kröten), M. angerufen, eine Stunde mit ihrem permanenten Widerspruch gegen alles und jeden, einfach aus Prinzip, gerungen, dabei den Radler getrunken und in die Sonne geschaut, dann wieder runter in den Keller,  den zweiten Radler geholt, der Molch war inzwischen abgetaucht, wieder hoch auf meinen Stuhl in der Sonne, da ruft Nachbar 4 über den Zaun, ihm war nach einem Schwätzchen, und so standen wir 40 Minuten am Zaun, plauderten über dies und das, über das Leben einesTürken, der erst mit Mitte Zwanzig vor gut zwanzig Jahren hierher gekommen war und immer noch mit der Sprache und den Gepflogenheiten ringt, im Deutschland von 2019.

Das war alles genauso atemlos und ununterbrochen, wie es sich hier liest, und erst das Auftauchen der Frau des Nachbarn in Plauderlaune bot mir die Möglichkeit, mich höflich zurückzuziehenund endlich meinen inzwischen leicht schalen zweiten Radler zu trinken und mal durchzuschnaufen und zu mir zu kommen.

Es ging etwa 15 Minuten, dann kam H. vom Treffen mit der Freundin zurück, dort war heute Catwalk der Entrümpelungsfirmen, und H. erzählte ausführlich.

Nach neun gingen wir rein, und erst da wurde mir bewusst, dass ich etwa fünf Stunden am Stück draußen gewesen war und wohl einen leichten Sonnenstich hatte.

Woran ich mich erinnern will:
Als ich den steilen Weg ins Tal hinunterging, zwischenden Gärten einiger Häuser links und rechts, undplötzlich höreich Kinderschritte hinter mir und nach einigen Sekunden ruft ein Mädchen zu mir „Hallo!“. Ich drehe mich um, sage auch „Hallo!“, und sie antwortet nicht, sie ist vielleicht vier oder fünf, und ihr ist wohl langweilig, und so spricht sie Passanten an, und ich denke noch, ob das Deine Mama weiß und so toll findet? Ich sage aber nichts dergleichen zu ihr, sondern fange sofort an zu plappern, denn Kinder in dem Alter, vor allem Mädchen mit ihrem neugierigen und irgendwie schon weisen Blick verunsichern mich immer massiv, uralte Kindheitserinnerungen daran, wie ich in dem Alter war, bevor ich verbogen wurde vom Leben und von dummen und egozentrischen Menschen, hindern mich, normal mit einem solchen Kind umzugehen.

Und so plappere ich also los, frage, ob das Kind auch „runter“ gehe, aber natürlich tut sie das nicht, allein, in dem Alter, und ich plappere weiter, dass ich jetzt zum Ostermarkt gehe, schauen „ob der Osterhase schon da war“, und da nickt sie ernst, sagt aber nichts, versteht wahrscheinlich gar nicht, was ich da erzähle, was für ein Markt und überhaupt, der Osterhase kommt doch erst in ein paar Tagen, wenn sie überhaupt noch an den Osterhasen glaubt.

Bevor ich mich aber um Kopf und Krage rede, verabschiede ich mich, drehe mich um und setze meinen Weg fort, ohne dass sie noch irgendetwas gesagt hat.

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