Sie war an diesem Tag sogar ganz gut gelaunt aufgestanden. Keine Spur von der üblichen Niedergedrücktheit oder der Gereiztheit, mit der sie zunehmend auf die Welt sah. Aber dann waren Worte gefallen. Böse Worte. Schlimme Worte. Worte wie Messer. Worte, die verletzen wollten und die auch ins Ziel trafen. Und plötzlich war ein Riss durch ihre Welt gegangen. Ein Riss, der sie von ihm trennte wie ein Abgrund. Ein Abgrund aus Hass, aus Wahnsinn, aus Schmerz und Verlust.
So viel Ungesagtes. So viel Unsagbares. So viel Unsägliches.
Sie stand da und blickte auf den Riss in ihrer Welt, auf seinen ausgefransten Rand. Der ausgefranste Rand ihrer Wirklichkeit. Wie leicht schien es, sich in den Abgrund zu stürzen, sich einfach fallen zu lassen, komme, was da wolle. Nur nicht mehr funktionieren müssen, nur nicht mehr kämpfen müssen um das bisschen Leben, nur nicht mehr Verantwortung tragen müssen. Die Augen schließen und sanft dahingleiten wie ein Blatt auf einem stillen, tiefen See.
So müde. So schrecklich müde.
Er ist weggegangen. Und schweigt. Reagiert nicht auf Anrufe oder Mails. Gibt ihr keine Chance, sich zu entschuldigen. Leckt seine eigenen Wunden. Will jetzt keine Versöhnung, diesmal nicht. Nicht nach den Worten, die gefallen sind.
In ihr baut sich der Druck auf, wird übermächtig, bricht heraus:
JE LÄNGER IHR SCHWEIGT, DESTO LAUTER SCHREIE ICH!
Nicht aufgeben. Nicht fallen lassen. Kein Blatt auf einem stillen, tiefen See.
Eine Kämpferin. Hauen, beißen, stechen, treten, kratzen, beißen. Nur nicht unterkriegen lassen. Nicht von ihm, nicht von anderen, nicht von der Welt und schon gar nicht von dieser verdammten, lähmenden Erschöpfung, die alles Leben aus ihr heraussaugen will.
Niemals!