23. Dezember. Montag. Sehr unruhige Nacht, oft aufgewacht, dazwischen lebhafte und blöde Träume. Immer noch Kopfschmerzen und verspannte Schultern.
Endspurt!
Die Stadt leert sich, die Zugezogenen verlassen Berlin Richtung Heimat, es gibt wieder Parkplätze. Und die Zurückgebliebenen tun das einzig Sinnvolle an diesem Montag: Sie gehen einkaufen.
Überall ist es brechend voll: In der Lebensmittelabteilung des Kaufhauses, im Baumarkt, in allen Supermärkten, in der Bank und bei der Post sowieso. Wahrscheinlich auch überall dort, wo es die letzten Wochen immer fast erschreckend leer war, dass ich schon dachte, Kaufen jetzt nur noch alle online? Nein, sie haben einfach abgewartet, gewartet auf diesen letzten langen Einkaufstag, auf Schnäppchen, auf Schlangen, auf Gedränge, auf genervte Menschen und erschöpfte Kinder, auf Lärm, auf Hitze, auf das pralle Leben. Sonst ist Weihnachten nicht Weihnachten.
Und da ich das alles weiß, da ich meine Pappenheimer kenne, stehe ich entspannt und gelassen in Warteschlangen, um das besondere Brot zu bekommen, meine Gänsebrust und meinen norwegischen Käse, denn ich habe alle Zeit der Welt, und heute habe ich beschlossen, die Menschen und das Leben zu lieben, und nichts und niemand kann mich davon abbringen.
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Ich habe lange darauf herumgedacht, wie es mit der Freundin weitergehen soll: Schreibe ich ihr einen langen Jahresend-Abrechnungs-Brief? Ignoriere ich sie? Am wichtigsten die Frage: Soll es weitergehen und wenn ja, wie?
In ihren Mails der letzten zwei Wochen verändert sich etwas. Sie wird wehrhafter, könnte man wohlwollend sagen. Ich habe zunehmend den Eindruck, sie tritt in die Phase ein, wo sie um jeden Preis alle um sich herum diskreditieren muss, um ihr eigenes Selbstbild aufrechterhalten zu können. Uns wird einerseits vorgeworfen „nie“ zu helfen, andererseits wird jede konkrete Hilfe, die wir in den letzten zwölf Monaten geleistet haben, nun als von oben herab aus dem Gefühl moralischer Überlegenheit großzügig gewährt dargestellt. Und es wird behauptet, über einen kurzfristigen Erfolg hinaus hätte unsere Hilfe ihr langfristig sogar eher geschadet. Es wird also wieder alles so zurechtgedreht und -geruckelt, damit sie am Ende gut dasteht und alle anderen wie egozentrische Arschlöcher.
Ich muss mir nun (mal wieder) überlegen, wie ich damit umgehe. Zum einen ist sie mir kein Herzensmensch, ich könnte sie also problemlos fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Dann denke ich mir wieder: Sie kann nichts dafür, dass sie so ist, sie muss fast zwangsläufig so reagieren, sie ist sich ihrer selbst so unsicher und hat in ihrer Kindheit einen ordentlichen Knacks bekommen. Dann wieder: Nur weil jemand einen Knacks hat, heißt das doch nicht, dass er nach Belieben auf mir (und anderen) herumtrampeln kann.
Also habe ich heute eine Mail geschrieben, in der ich sie mit ein paar ihrer widersprüchlichsten Aussagen konfrontiere und sie auffordere, mir „Auge in Auge“ zu erklären, was sie mir in ihren Mails an H. (nie an mich, zu mir ist sie momentan gerade zuckersüß) vorwirft. Ich ballere nicht zurück, ich rechtfertige nicht, ich verteidige nicht, ich schreibe nur: Du sagst das und dann sagst Du das – Warum? Was meinst Du damit?
Und ich bin gespannt auf ihre Antwort. Ich erwarte nicht, Erklärungen zu bekommen, ich erwarte Ausreden, Ausflüchte. Das war doch nicht so gemeint. Das war überspitzt formuliert – versteht Ihr keine Ironie? Ich meinte doch nicht Euch persönlich, nur die Menschheit an sich.
Etwas in der Art.
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Wegen Kopf- und Weltschmerz heute die halbe To-Do-Liste gestrichen (es war ohnehin eher eine Might-Do-Liste), aber immerhin noch: Wäsche weggeräumt, Geschirr gespült, eine Einkaufsrunde gemacht (Sparkasse, Butter Lindner, Baumarkt, Dupermarkt I, Supermarkt II), Geschirr, Gläser und Besteck für morgen aus verschiedenen Schränken zusammengesucht und bereitgestellt, den Strauß statt Baum mit Lichtern versehen und mit Engeln und Kugeln dekoriert, P.s Geschenk zuerst schön dann transportfähig verpackt, die anderen Geschenke mit Schleifen versehen und unterm Baum drapiert, das TV-Regal dekoriert, M. per Telefon beruhigt und sogar noch ein Dreiviertelstündchen geschlafen.
Woran ich mich erinnern will:
Die Anspannung erwächst nicht aus der Menge an Dingen, die zu tun sind, sondern aus dem inneren kindlichen Zweifel, ob es für die anderen „genug“ sein wird, ob ich diesmal „bestehen“ werde, ob „es“ und damit ich ein „Erfolg“ werden wird.
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