Anna denkt nach, Anna schreibt, Miniaturen

Januar-Ausflug

4. Januar. Samstag. Unruhige Nacht, gefühlt jede Stunde aufgewacht mit wilden Gedanken: Welcher Tag ist heute? Was steht an? Muss ich irgendwo hin? Etwas Wichtiges erledigen? Kommt wer zu Besuch? Muss ich mich mit Leuten treffen?
Der Kopf ist immer noch im Stressmodus und kann nicht loslassen. Trägheit der Masse bei einer Vollbremsung: Sie fliegt noch eine Weile weiter.

Um 10 Uhr mit dem Bus in die Stadt, dort mit einer Regionalbahn zu einem verlassenen Provinzbahnhof gefahren und zehn Minuten auf eine andere Regionalbahn gewartet. Das hätten wir bequemer haben können; ich weiß nicht, warum das Informationssystem des Verkehrsverbundes ausgerechnet diesen Bahnhof zum Umsteigen empfohlen hat.

Weiter mit der zweiten Regionalbahn in ein kleines Städtchen. Der Bahnhof liegt oben am „Berg“, es geht recht steil hinab inden Ortskern. DIeser ist wie ausgestoren, was für Samstag Mittag in den Orten hier aber normal ist. Neben den zum Wochenende geschlossenen Geschäften fallen uns aber auch viele leer stehende Ladenräume auf; bei einem hat man den Zettel, auf dem auf den im Juni 2018 (!) erfolgten Umzug hingewiesen wird, hängen lassen. Selbst eine kleine Aldi-Filiale steht leer, vermutlich wurde außerhalb ein großes Einkaufszentrum eröffnet, und im Ort überleben jetzt nur noch Bäcker, Friseur, Blumenladen und ein Möbelgeschäft, wo es auch Tapeten und Farben gibt. Und jede Menge Apotheken, allein in der Nähe des Marktplatzes sehe ich drei Stück. Am Marktplatz ein Eiscafé, das kleine örtliche Hotel macht bis zum 10. Januar Urlaub.

Ansonsten ist es ein typisches Örtchen für die Gegend. Die Häuser im Ortskern sind ein wenig heruntergekommen, dafür hat sich außerhalb ein Ende der 1970er Jahre errichtetes Viertel mit Einfamilienhäusern anscheinend zur bevorzugten und „besseren“ Wohngegend entwickelt.

Rund um die Kirche hat man sich einen schönen Stadtplatz geschaffen mit Festsaal, Freilichtbühne und öffentlichem Backofen, der wohl zu Festen noch benutzt wird. Alles sehr proper und einladend. Anhand der Jahresringe im Stamm einer 2010 vom Sturm gefällten Buche wird die Stadtgeschichte der letzten 200 Jahre dargestellt.
Auch der Marktplatz ist hübsch gestaltet.

Am Gemeindehaus und einer etwas außerhalb stehenden verlassenen Fabrik hat man Gedenktafeln für die Juden des Ortes angebracht, am noch existierenden Haus, in dem ursprünglich die Synagoge untergebracht war, hingegen nicht – wahrscheinlich wollte der Besitzer das nicht.

Zum jüdischen Friedhof gelangt man, wenn man den Schildern zur Kläranlage folgt; an einer nahe gelegenen Kapelle steht eine Information über den Friedhof, einen Wegweiser sucht man vergebens. Vom Friedhof schaut man auf die Gartenseiten der gepflegten Einfamilienhäuser und ich frage mich, wie sie hier mit den Geistern der Vergangenheit leben. Vermutlich ziehen sie die Vorhänge fest zu.

Nach anderthalb Stunden quälen wir uns den Berg wieder hoch zum Bahnhof, trinken dort Kaffee aus der Thermoskanne, es gibt sogar eine kostenlose, funktionierende Toilette, welch ein Luxus!

Mit der Regionalbahn fahren wir zum nahegelegenen größeren Städtchen, laufen vom höhergelegenen Bahnhof hinunter zum Marktplatz und kehren dort beim „durchgehend geöffneten“ Italiener ein. In einer Gegend, wo Restaurants um 14:00 Uhr schließen und erst gegen 17:00 oder 17:30 Uhr wieder öffnen, ist so etwas an einem kalten Januar-Nachmittag Gold wert, und das Restaurant ist entsprechend gut besucht.

Für H. gibt es Taglierini neri mit Jakobsmuscheln, für mich überbackene Tortellini. Alles gut und bodenständig und recht preiswert, vor allem die Getränke.

Satt und warm und ausgeruht marschieren wir noch eineinviertel Stunden durch die Altstadt, am Flüsschen entlang und schließlich auf der gegenüberliegenden Seite den Hang wieder hoch zum anderen Bahnhof, von wo wir die Regionalbahn zurück nehmen.

Ankunft des Zuges ist drei Minuten nach Abfahrt des Busses, wir fahren also nicht bis zum Hauptbahnhof durch, sondern steigen vorher aus und spazieren noch ein wenig durch die Stadt. Am zentralen Platz stehen noch die Überreste des Weihnachtsmarktes mit Eisbahn, Kettenkarussell, Wurst- und Glühweinstand, aber es ist wenig los, die Leute streben nun eher in die Restaurants, Bars und Kinos.
Zwar ist man noch im Urlaubsmodus, aber „die Feiertage“ sind nun endgültig vorbei, abgehakt, Schnee von gestern. Neues Jahr, neues Glück.

Kurz nach acht sind wir zu Hause und ich ordentlich müde.

Woran ich mich erinnern will:
Sich treiben lassen ist wunderbar, wenn man genug Zeit hat oder weiß, man kommt sehr bequem später wieder an diesen Ort. Bei abgelegeneren Orten ist hingegen gute Vorbereitung alles.

What I did today that could matter a year from now:
Viel zu Fuß gehen (Gesundheit).
Zwei Städtchen erkunden (Ortskenntnis, Eindrücke).
Bahnfahren statt Auto.

Was wichtig war:
Rauskommen.
Kälte spüren.
Bewegen.
Körper und Geist füttern und anregen.

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