Anna denkt nach, Anna schreibt, Miniaturen

Wände einreißen

29. Februar 2020. Samstag. Nachts mehrfach aufgewacht: Um zwei, um vier, um fünf. Um sechs bin ich dann aufgestanden. Atmen und dehnen im Schlafanzug auf der Terrasse. Es ist relativ mild. Ich spüre die Verspannung im oberen Rücken, die wohl dem gestrigen langen Sitzen geschuldet ist.

Morgens eine kleine Runde durchs Dorf: Geldautomat, Bücherbox, Bäcker. Als ich zurückkomme, steht H. gerade auf.

Der erste Tag im Häuschen, Wochenende, letzter Tag des Monats. Normalerweise hieße das heute viel Räumen, Ordnen und Planen. Rückblick und Ausblick. Der Schalttag macht, dass sich der Februar fast wie ein normaler Monat anfühlt, nicht wie ein reingequetschter Stummelmonat.

Aber H. hat andere Pläne: Eine kleine Trennwand im Flur soll eingerissen werden, damit die dahinter verlaufenden Wasserrohre gut sichtbar für den Klempner freiliegen, der am Montag schauen kommen will.
Also gibt es körperliche statt Kopfarbeit, und das war vielleicht genau das Richtige nach einem Tag im Zug.

Nach dem späten Frühstück also anderthalb Stunden sägen und klopfen und zupfen und saugen. Der Nachbar ist begeistert von unserem Arbeitseinsatz, die Nachbarin erzählt von einer Spontan-OP am Zeh, der sie sich vor zwei Tagen unterziehen musste. Damit einher geht ein Krebsverdacht, so etwas grätscht ja immer ganz schön rein ins Leben.

Bei mir wecken solche Gedanken an überraschende Diagnosen, schwere Krankheit und Tod immer den starken Wunsch, meine „Angelegenheiten“ zu regeln, also: meinen Besitz zu reduzieren, wichtige Informationen zusammenzustellen, meinen digitalen und materiellen Nachlass zu regeln, Gedanken für die Nachwelt festzuhalten und insgesamt „alles“ in „Ordnung“ zu hinterlassen, was immer das im EInzelfall ach heißen mag.
Mein Ideal ist ein Leben, aus dem ich jederzeit abtreten kann und meine Angehörigen finden alles geordnet vor und haben keinen Stress damit.

Nachmittags stürmt und schüttet es, wir haben nach der körperlichen Arbeit richtig Hunger und werfen den Kochplan um: Statt Gyros am Abend gibt es Flammkuchen am Nachmittag, danach springen wir beide (nacheinander) unter die Dusche und dann jeder vor seinen Rechner.
Ich bin überrascht, dass H. sich nicht hinlegt, aber er hat schon drei, vier Bier intus und das putscht ihn momentan eher auf, er will „machen“.

Ich will eigentlich nur ein bisschen herumlesen und aufräumen, aber mir kommt die Mail eines Kunden in die Quere mit einem interessanten Problem, und damit beschäftige ich mich erstmal ein Stündchen. Dann Internet lesen, Nachrichten, Feedreader, Twitter (ich überlege, ob ich „Corona“ und „Hamster“ muten soll, aber es geht noch). Später dann die Berlinale-Preisverleihung. Ich hoffe sehr, den Job des Moderators für Eröffnungs- und Abschlussfeier bekommt nächstes Jahr jemand anderes. Und wer sucht eigentlich die Garderobe für Jeremy Irons aus? Hilfe.

Abends nichts im Fernsehen, was mich reizt, H. ist angesoffen und (positiv) aufgedreht, ich fühle mich, als hätte ich das halbe Haus abgerissen und will eigentlich nur ins Bett, aber halb neun ist selbst mir zu früh, also wursteln wir uns noch durch eine ungewöhnliche Partie Scrabble: alle Sonderzeichen sind innerhalb der ersten drei, vier Spielzüge draußen, danach kommen nur noch lange Wörter, die nichts zählen, imerhin, ich lege „Equinox“, das „n“ schließt an ein Wort mit „ä“ an, dann noch mehrfacher Buchstaben- und doppelter Wortwert, das macht schon Spaß.

Woran ich mich erinnern will:
Deswegen bin ich doch hier: Bewegung, frische Luft, Wetter, ausruhen.

What I did today that could matter a year from now:
Rohre freilegen.
Mich mit einem neuen Arbeitsbereich befassen.
Gartenplanung.
Entdecken, wie wohltuend ein Bau-Gehörschutz sein kann.

Was wichtig war:
Nachfragen statt gleich zu widersprechen.
Ja sagen.
Machen.
Pläne ändern.
Darüber nachdenken, ob ich mir einen Gehörschutz für eine Reizarmuts-Selbsttherapie besorgen soll.

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