Anna denkt nach, Anna schreibt, Miniaturen

Erholungsdruck und Abgrenzung

8. Juni 2020. Montag. Gut geschlafen, aufgewacht um 6:15. Früher wäre mir lieber gewesen, aber gestern ist es ja spät geworden.

Ich denke darüber nach, warum es mir am Wochenende nicht gut ging. Zum einen war da die Erschöpfung. Ich hatte in der letzten Woche zwar auf dem Papier nicht sonderlich viel geschafft, für mich aber einige Dinge geändert, und das war dann doch anstrengend:
Jeden Tag rausgehen für einen kleinen Spaziergang. Das ist zwar körperlich nicht besonders herausfordernd, aber mental und sensorisch: Zuerst die Überwindung, das Haus zu verlassen, dann überlegen, was ich anziehen will, dann eine Route auswählen, dann losgehen, schauen, hören, riechen, auf andere Menschen achten, mich der Welt aussetzen, Beschwerden im Rücken wegen verspannter Muskulatur, am Ende die Treppen, bei denen ich ins Schwitzen und Keuchen komme.
Jeden Tag Yoga. Tut saugut, entspannt und fokussiert mich mental, ist aber dem Muskelkater nach zu urteilen auch körperlich durchaus anstrengend.
Jeden Tag eine Art Stundenplan für bezahlte Arbeit, den ich zumindest teilweise abarbeite, auch wenn der Körper nach Liegestuhl/Sessel und Buch ruft.

Und nun: Zwei Tage „Nichtstun“, nur meinen Wünschen und Bedürfnissen folgen, auch weil der Kopf jetzt einfach mal nicht über Code nachdenken möchte. Es tritt nicht die gewünschte Erholung ein, stattdessen Ziellosigkeit, Unzufriedenheit, Unlust, Unruhe, bleierne Müdigkeit. Für mich eine Art mentaler Muskelkater und Zeichen, dass die Erholungspause dringend notwendig ist. Aber wie kann ich diese notwendige Erholungszeit angenehmer gestalten, so dass ich es auch wirklich als Erholung empfinde und die Zeit genieße?

Den Punkt finden, an dem Struktur umschlägt in Druck. Struktur tut mir gut, Struktur entbindet mich von der Anstrengung, ständig Entscheidungen treffen zu müssen. Aber wenn die Struktur zu starr ist, keinen Raum lässt für Anpassungen, oder wenn ich der Struktur ohne Rücksicht auf die eigene Befindlichkeit zu sklavisch folge dann entsteht Druck: ‚Ich sollte das jetzt machen und bin ok damit‘ wird zu ‚Ich muss das jetzt machen, obwohl ich nicht will‘.
Es ist ein schmaler Grat. Aber Struktur – ohne Druck – ist das, was meinen Erholungspausen fehlt, und vielleicht stressen sie mich deswegen so sehr. Körper und Geist erholen sich, aber psychisch strengt mich das „Ausruhen“ enorm an.

Der heutige Arbeitstag bekam dieselbe Struktur wie die Tage letzte Woche, und es stellte sich dieselbe leicht euphorische gute Stimmung ein. Dabei „schaffte“ ich gar nicht besonders viel, aber einfach zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu wissen, dass die wichtigsten Dinge auf jeden Fall morgens zuerst erledigt werden/wurden und was die nächsten Schritte sind oder sein könnten, sorgte für ein Gefühl der Befreiung und Leichtigkeit und Sinnhaftigkeit.

„Erholung“ trägt ja schon ein Element des Drucks in sich: Den Druck, die zur Verfügung stehende Zeit „gut“ zu nutzen, ohne zu wissen, durch was. Was tut mir gut? Was brauche ich? Was wollen Körper, Geist, Seele, Sinne? Wenn alles möglich und nichts vorgegeben ist, ist die Auswahl an Möglichkeiten zu groß und das überwältigt mich manchmal. Wenn da zuviel ist, was ich machen könnte, mache ich am Ende gar nichts.
Mangel und Beschränkung hingegen fördern Kreativität und Handlungsbereitschaft.

Heute also morgens Mails beantwortet und Kleinkram erledigt, mich bei einer Sache rechtzeitig gebremst, bevor ich zwei Stunden unbezahlte Arbeit mache (die möglicherweise gar nicht gewollt ist) und noch ein bisschen geplant.

Mittags zum Discounter spaziert, einen aufdringlichen Mann abgewimmelt und dabei erstmals ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er schwarz war. Bisher hat mich das nicht gestört, weil ich eben wirklich in erster Linie einen aufdringlichen Mann abwimmle, egal mit welcher Hautfarbe. Nun aber formulierte ich erstmals meine Abfuhr bewusst vorsichtig, nicht, dass der denkt, ich lehne ihn wegen seiner Hautfarbe ab. Es ist kompliziert.
Ergänzung: Ich habe eine Physiognomie, die mittelalte afrikanische und alte arabische Männer anzieht, deswegen werde ich relativ häufig von ihnen auf der Straße angesprochen, wohingegen sich die Mehrheits-Männlichkeit in Deutschland – inklusive schwarze und „südländisch“ aussehende Männer, die lange hier leben oder hier aufgewachsen sind – für mich nicht interessiert und mich in Ruhe lässt.

Nachmittags eine halbe Stunde mit H. wegen einer Übersetzung telefoniert, danach zwei Stunden mit M. „einfach so“.
Danach kam „Still“ als Thema beim Yoga with Adriene gerade recht.

Internet gelesen, Rechnungen geschrieben, Geschirr gespült. Große Planungssession für die kommende Woche. Suppe gekocht.

Abends nichts im Fernsehen, „Die Schlemmerorgie“ auf ARTE entpuppt sich als alberner 70er-Jahre-Klamauk und ist trotz hervorragender Besetzung nicht gut gealtert. Zum Abendbrot Spargelsuppe mit Schinkenwürfeln, Radieschengrün und Ciabatta.

Woran ich mich erinnern will:
Das Gefühl, mit mir und meiner Welt im Einklang zu sein.

What I did today that could matter a year from now:
Rausgehen.
Bewegung.

Was wichtig war:
Rausgehen.
Bewegung.
Kontakt.
Kommunikation.
Sonne.
Kümmern.
Abgrenzen.
Yoga.

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