4. November 2020. Mittwoch. Wach wieder um zehn nach vier, aber diesmal gelingt es mir nicht, wieder einzuschlafen. Um halb fünf aufgestanden. Bei frühlingshaften Temperaturen singt draußen vorsichtig und zaghaft eine Amsel.
Es gibt einiges zu tun, aber ich gehe den Tag ruhig an: Erstmal Nachrichten und RSS-Feeds lesen, ein wenig daddeln.
Ich denke auf der Geburtstagseinladung herum. H. würde gerne gehen, hält den Freund und dessen Familie für „vernünftig“. Wie vernünftig kann man sein, gegen eine offizielle Anordnung zu verstoßen, deren Sinn man „eigentlich“ einsieht? Eigentlich, aber nur, wenn sie für andere gilt und nicht für einen selbst? Man selbst ist natürlich „vorsichtig“ und hat deshalb kein Risiko? So denken die anderen vermutlich auch…
Und solange keiner weiß, ob er nicht vielleicht symptomfreier Überträger ist, verstehe ich die Motivation nicht, das eigene Vergnügen über die mögliche Gefährdung anderer zu stellen.
Wenn nur die engsten Verwandten und Freunde kommen, sind das mit Anhang (Ehegatten, Kinder) 11 Leute aus sechs Haushalten.
Wenn der Anhang zu Hause bleibt, sind es immer noch sechs Leute aus sechs Haushalten.
Nicht ok.
H. wiederum schwankt zwischen Nicht-Gehen aus Günden allgemeiner Überforderung (viel zu tun) und dem Gefühl von Rechtmäßigkeit (Corona-Verordnung) einerseits und dem Bedürfnis, den Freund zu sehen sowie einer diffusen moralischen Verpflichtung hinzugehen, weil es sich vielleicht um eine Art verbrämte Trauerfeier für die kürzliche verstorbene Frau handeln könnte, andererseits.
Es ist kompliziert, und er bekommt Bauchschmerzen angesichts seiner Zwickmühle.
Letztendlich entscheidet er sich für Nicht-Gehen und ist nach einem Telefonat mit dem Freund gottsfroh darum, denn es stellt sich heraus, dass diese „Party“ nicht mal die lange getrennte Familie vereint, sondern dass es eine Art Dankeschön für Nachbarn und Bekannte ist, die das Paar während der Krankheit der Frau in den letzten Monaten unterstützt haben, und, ach ja, einer der Söhne kommt auch mit seiner Frau und dem Baby.
So werden sich also ohne Not Angehörige aus mindestens vier Haushalten treffen, um Kaffee und Kuchen zu sich zu nehmen anlässlich eines Geburtstags, der in dieser Form noch nie gefeiert wurde, weil es den Mann einfach nicht interessiert.
Was ist mit den Leuten?
Ich kann mich wiederum heute nicht zur Arbeit aufraffen, beantworte so eben ein paar Mails und kollabiere nachmittags vor dem Fernseher, um auf ARTE „Anatomie eines Mordes“ anzuschauen.
Dann saugen, Schreibtisch aufräumen, Browsertabs aufräumen.
In einem Tab entdecke ich eine Doku über einen Mord im Städtchen vor ein paar Jahren, für den die Schwiegertochter verurteilt worden ist, aber ob das alles so seine Richtigkeit hatte mit diesem ndizienprozess, das rollt nun der Landessender auf, den die Familie anscheinend eingespannt hat, um Öffentlichkeit für ein geplantes Wiederaufnahmeverfahren zu gewinnen.
Zu dem Thema wurd ein Dreiteiler produziert, und den schaue ich mir nun auch an bis H. gegen sieben heimkommt.
Geschirr spülen, AktenzeichenXY, Abendbrot: Merguez mit gesammelten Gemüseresten (3 Kartoffeln, 2 Möhren, einer Petersilienwurzel, etwas Stangensellerie), in der Pfanne geschmort.
Woran ich mich erinnern will:
Einfach mal so mitten am Tag in Ruhe, ohne krank sein zu müssen und ohne schlechtes Gewissen einen Film anschauen können.
What I did today that could matter a year from now:
Grundsätzliches durchdenken und eine Linie finden.
Was wichtig war:
Ausruhen.
Nachgeben.
Dann doch aufraffen und wenigstens etwas tun.