Erschöpfung. Schwierige Begegnung. Alte Konflikte, innen wie außen. Grenzziehungen. Licht am Ende des Tunnels.
7. Mai 2021. Freitag. Nach zu wenig Schlaf um 6:15 Uhr aufgestanden. Versöhnlicher gefühlt als gestern Abend. Immer noch erschöpft und überfordert, aber weniger hadernd. Das eine oder andere pendelt sich vielleicht langsam ein. Vielleicht.
Ich schreibe viel, hier und anderswo, frühstücke, obwohl ich keinen Hunger habe, aber heute brauche ich Kraft und muss mit meiner Energie haushalten. Um neun breche ich auf, einmal quer durch die Stadt, zum Krankenhaus.
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„Und es wird Tage geben, an denen es schwer ist, und es tut gut zu wissen, wer Dich dann trägt…“
Heute ist ein eher schwerer Tag, aber ich fühle mich getragen durch Freund B. und Freundin B. und den Bestatter und meine Trauerbegleiterin und viele liebe Menschen, die mir aus der Ferne nah sind.
M. aus dem Krankenhaus abgeholt und nach Hause begleitet, Einkauf erledigt, Bett bezogen, Taschen ausgepackt.
Mich gewehrt, als sie permanent über meine psychischen und körperlichen Grenzen hinwegtrampelte (im wahrsten Wortsinn, ein Zeh hat sehr gelitten). Beide Seiten sind sehr dünnhäutig, im „Wettbewerb“ (aus ihrer Sicht, sicher nicht aus meiner) Krankheit – Trauer steht es 1:1.
Vermutlich war sie froh, als ich ging.
Es tut mir leid, dass ich nicht netter zu ihr sein kann, sicher hat sie sich gefreut, nach Hause zu kommen, aber es fällt mir schwer, nachsichtig und entspannt und versöhnlich zu sein, wenn ich nicht wahrgenommen und meine Bemühungen für selbstverständlich erachtet werden. Kein Wort der Freude zur Begrüßung, eher ein verstohlener Blick auf die Uhr, keine Nachfrage, wie es mir geht (übrigens in all den Wochen nicht, wenn ich nicht ab und zu von mir erzählt hätte, wüsste sie nichts), kein Dankeschön. Als ich mich wehre, Rückfall in wahlweise Märtyrertum oder Bockigkeit.
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Grausiges Wetter draußen, vormittags regnete es in Strömen, teilweise durchsetzt von Schnee, mittags schien kurz die Sonne, dann wurde es schwarz, blitzte, donnerte und hagelte kurz, dann wieder etwas heiterer. Wetter zum Drinnenbleiben.
Mir ist nach gar nichts, ich bin anscheinend vollkommen ausgepowert: Müde, sehr traurig, alles erscheint sinnlos, und H. fehlt mir so, so unendlich…
Er hätte heute an meiner Seite sein sollen, er hätte M. abgelenkt (oder ich sie von ihm und dem Computer), wir hätten gegenseitig „übernommen“, wenn einer unter Beschuss gerät, er hätte es ohnehin besser weggesteckt und mich in meiner Dünnhäutigkeit ein wenig beschützt.
Und hinterher hätten wir ein bisschen abgelästert und uns gegenseitig versichert, dass wir alles richtig gemacht haben und sie eben ein Problem hat.
Und dann wären wir auf dem Heimweg zusammen einkaufen gegangen, ich hätte noch etwas gearbeitet, und abends hätte H. was Leckeres zum Wochenende gekocht, etwas Aufwändigeres, denn er ist ja den ganzen Nachmittag hier; vielleicht hätten wir beim Türken Fleisch geholt, Lammgulasch oder etwas in der Art, und er hätte uns ein schönes Schmorgericht gemacht.
Stattdessen hocke ich jetzt hier allein in der Wohnung, habe kalte, nasse Füße und Kopfschmerzen, fühle mich klein und elend und allein, und als Essen warten gebratene Fleischwurst und angesetzter Gemüsebrambes von gestern.
Und Trost ist nicht, da Du mein Trost gewesen…
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Ich erledige noch einen Anruf für das GroßeNeueProjekt und erfahre zwischen den Zeilen potentiell wichtige Dinge, immerhin. Sonst zu nicht mehr viel fähig, stattdessen Regenration: Umziehen. Kaffee machen. Beschließen, dass jetzt das Wochenende (!) beginnt. Weil ich es am Wochenende schön haben will, Geschirr spülen. Pudding kochen. Schreiben. Stills aus dem Film extrahiert. Wenn ich mich ohnehin immer im Einzelbildmodus durchklicke…
Entdeckt, dass eine außerordentlich passende Adresse bei wordpress.com noch frei ist war und diese reservieren. Ein privates Blog aufsetzen, das möglicherweise als Basis für ein Buch oder eine Geschichte dienen kann oder einfach nur mein Selbsthilfeprojekt im Trauerprozess wird.
Freund B. fragt via Chat an, ob ich telefonieren möchte. So etwas finde ich so unglaublich rücksichtsvoll: Eine niederschwellige „Störung“, die man auch einfach ignorieren kann. Keine Ansprüche, keine Forderungen, kein Belagern oder Belästigen, kein Eindringen in meinen Raum.
Das tut so wahnsinnig gut, und ich wundere mich wieder, wie der eine Mensch so ungeheuer empathisch und respektvoll sein kann und der andere ein solcher emotionaler Trampel und Ignorant.
Und wo in diesem Spektrum dazwischen ich ehrlicherweise mich verorten würde…
Ich signalisiere Zustimmung und wenige Minuten später ruft er an. Ich kann meinen Frust loswerden und ernte Verständnis. Kein „Wie kannst Du nur“, kein „So schlimm wird es ja nicht sein“, kein „Na, aber daran hast Du doch gewiss auch einen Anteil“. Einfach nur: „Das klingt scheiße. Und wie geht es Dir jetzt?“
Ich könnte heulen vor Dankbarkeit, solche Menschen in meinem Leben zu haben.
Und hoffe, ich kann irgendwas davon zurückgeben, irgendwann.
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Abendbrot fällt im Prinzip aus, denn ich bin satt vom Mittagsimbiss aus gebratener Wurst und Pudding (nacheinander und mit Abstand). Den Gemüsepamps mache ich mir warm, mische ihn mit Senf und löffele einen Teller vor dem Fernseher im Bett. Angesichts der Wohligkeit des Bettes bekomme ich regelrecht einen Zitteranfall.
Ich habe mich in den letzten Wochen so derart selbst malträtiert, dass das kleinste bisschen Geborgenheit schon fast wie ein kleiner Schock kommt.
Nichts im Fernsehen, ich lasse irgendwas laufen, döse ein, wache auf, gehe nochmal aufs Klo, mache alles aus und schlafe gut und tief und erschöpft.
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Woran ich mich erinnern will:
Wieder gut und versöhnlich von jemandem denken können. Meinen Frust loswerden können und Verständnis bekommen.
What I did today that could matter a year from now:
Wahrheiten aussprechen.
Was wichtig war:
Grenzen einfordern.
Es trotzdem versuchen.
Darüber sprechen.
Lachen.
Mich wahrnehmen und mich um mich kümmern.
Für mich einstehen.
Begegnungsnotizen:
Menschen in Bussen, U- und S-Bahnen und im kleinen Supermarkt bei M.
M.
Taxifahrer.