Anna schreibt, Miniaturen

Kleiner Rück- und Ausblick

30. Dezember 2022. Freitag. Gestern von einer lieben Wegbegleiterin Abschied genommen, die Ende Januar aus Berlin wegziehen wird. Es ist kein endgültiger Abschied, wir werden uns wahrscheinlich im Januar noch einmal in Arbeitszusammenhängen begegnen, außerdem sind mehrere Zoom-Treffen geplant, um unseren Austausch zumindest mal vorläufig fortzusetzen. Trotzdem bin ich heute sehr traurig – wohl weil diese letzten Tage des Jahres insgesamt von Abschieden geprägt sind. Und Abschied ist etwas, was ich als Trauernde ganz schwer hinbekomme, wovon ich jetzt einfach mal genug habe.

Zeit, sich mal das Positive in diesem Jahr ins Gedächtnis zu rufen:

Der erste Todestag von H. im Januar war weniger schlimm als befürchtet. Viele Menschen dachten an mich, schrieben mir, sandten Grüße und gute Wünsche. Das tat unglaublich gut.

H.s Schwester räumte das Haus in K. aus. Mir blieb im April der Transport meiner Sachen – viele, viele Kartons – nach Berlin. Eine Spedition machte es zwar nicht ganz billig aber verhältnismäßig stressfrei möglich. Tatkräftige Unterstützung an beiden Enden tat ein Übriges.

Bis zum Frühsommer hatte ich die meisten Kartons ausgepackt und die Sachen verräumt; übrig blieben Werkzeuge, Maschinen, große Gartengeräte. Für die hatte ich in der Innenstadt ohne Garten, ja sogar ohne Balkon, keine Verwendung. Nun, das würde sich finden.

Die Krankheit des Vaters wurde von Mai bis Juli in rasendem Tempo schlimmer, ich verbrachte mehr und mehr Zeit bei ihm, musste schließlich seinen dann doch überraschend schnellen Tod verkraften.
Und erfuhr erneut eine unglaubliche Welle an Unterstützung von Kunden, Kollegen, Nachbarn, Bekannten, Freunden und Verwandten.

Der Monat bis zur Beerdigung war schwer, noch schwerer die drei Monate danach, in denen ich seine Wohnung ausräumen und auflösen musste. Am Ende stand erneut die Anlieferung vieler, vieler Kartons mit Sachen in meine Wohnung. Immerhin war ich die Gartengeräte aus K. bei einem Hausflohmarkt in des Vaters Wohnung losgeworden.

Nach der Wohnungsübergabe Ende November machte ich mich wenige Tage später auf zu einem Kurzurlaub auf den Kanaren. Zwei Freundinnen und Mit-Witwen hatten sich dort für den Winter ins Exil begeben und luden mich ein, auf ihrer Couch zu übernachten, so dass ich nur den Flug zahlen musste. Meine erste Fernreise seit 17 Jahren!

Trotz eines lästigen Erkältungsinfekts waren diese 8 Tage ein unglaublich schönes Erlebnis: Die Gesellschaft rund um die Uhr, die Gemeinschaftlichkeit, die üppige Natur, die Wärme, die Sonne, das Meer, das Essen, die Menschen – unbeschreiblich wohltuend war das alles.

Und so kam ich zwar krank aber voller Zuversicht Mitte Dezember zurück nach Berlin: Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt!

Weihnachten war entspannt, die zwei Wochen seit meiner Rückkehr angefüllt mit netten Begegnungen, guten Gesprächen, Freundschaft, Wärme.

Überhaupt war dieses ein Jahr mit vielfältigen Begegnungen und wunderbaren Menschen, die neu in mein Leben getreten sind: Die Leute aus der Trauergruppe. I., die Mit-Witwe und Dritte im Bund, mit der ich nun auch auf den Kanaren war. S., die Haushaltshilfe meines Vaters. B., sein Nachbar, den ich zwar schon kannte, aber nun ganz neu kennenlernen durfte und der mir so sehr geholfen hat wie kein anderer in diesem Jahr. Die vielen Menschen, die ich über die Galerie kennengelernt habe.

Und natürlich sind da all die Kontakte, die sich vertieft haben, wo aus Bekanntschaften Freundschaften entstanden sind: Der Bestatter. Die Leute aus der Galerie. Die Lieblings-Kundin. Die Trauerrednerin und Trauer-Coach A. Die Trauerbegleiterin B. Die Freundinnen B. und K., die Freunde B. und G., die vielen Bekannten und Weggefährten aus meinem Viertel. Die Cousine und ihre Frau, die mich besuchen kamen und unterstützten. Der Sohn von H.s bestem Freund. Und, und, und…
Menschen, die mich begleitet haben, für mich da waren, mich unterstützt haben.

Sehr vieles, für das ich dankbar bin. Und glücklich.

Die Zeit, die ich mit diesen Menschen hatte. Und weiterhin haben werde!
Die Eindrücke, die ich aufnehmen durfte: in der Natur, auf den Kanaren, im Zimmer von A., die Kunst in der Galerie…
Die Dinge, die ich geschafft habe, die mir vorher beinahe unschaffbar erschienen.
Die Dinge, die ich in der Trauergruppe und bei der Trauerbegleitung erfahren und gelernt habe.
Die Dinge, die ich über mich erfahren und gelernt habe.
Alles, was ich erleben und tun durfte.
Wieviel reicher mein Leben nun, ein Jahr später ist, wieviel sicherer und klarer und aufgeräumter.

Das sind die guten Dinge, die bei aller Traurigkeit und allem Verlustschmerz eben auch ein Teil meines Seins sind und das Schlimme erträglicher und das Leben dennoch lebenswert machen.

Ich sehe mit Dankbarkeit und Erleichterung zurück und mit Bangigkeit nach vorne, denn neue Dinge stehen an und noch weiß man nicht, wie diese sich entwickeln werden:

Die Reise im Januar.
Eine neue, anders geartete Trauergruppe.
A.s Umzug und die Treffen, die künftig per Videokonferenz stattfinden werden und nicht mehr in ihrem gemütlichen Zimmer.
Der Kontakt zu I., einer Frau, die ich über die Galerie kennenlernte und die ich voraussichtlich in den nächsten Monaten auf ihrem ganz anders schweren Weg begleiten werde.
Die Möglichkeit, selbst kreativ tätig zu werden und meiner Trauer auf andere Weise Ausdruck zu geben.
Die Notwendigkeit, all die Sachen aus den drei aufgelösten Wohnungen loszuwerden und meine Wohnung wieder für mich zu haben. dort wieder Leute einladen zu können.
Die Notwendigkeit, eine Lösung für die Mutter zu finden.
Andere Menschen, Impulse, Möglichkeiten.
Dieses neue Jahr.

Möge es für uns alle ein gutes werden.

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2 Gedanken zu “Kleiner Rück- und Ausblick

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