25. Januar 2021. Montag. Einschlafen vor dem Fernseher hat ganz gut geklappt. Zwar wache ich auch diese Nacht regelmäßig auf und liege dann zum Teil eine Weile wach, aber ich bekomme schon vor zwei Uhr einiges an Schlaf. Heute insgesamt sicher sechs, sieben Stunden. Die Schlafqualität ist nicht so toll, aber immerhin lag ich nicht mit Angstphantasien wach.
Morgens am Schreibtisch krallt sich die Angst wieder um Magen und Herz. Ich erinnere mich: Das ist kein neues Phänomen, das habe ich in den letzten Monaten (Jahren?) öfter gespürt, meist, wenn es finanziell nicht gut lief oder ich mich überfordert fühlte oder ich mir Sorgen um H. machte, weil er mir niedergedrückt schien.
Wie lange hält mein Herz solchen Dauerstress aus?
Zwei Wochen ohne ihn. Was fehlt mir am meisten?
Der Gedankenaustausch. Sei es über alltägliche Ereignisse und Erlebnisse, über aktuelle Nachrichten, über Ideen oder Pläne, über Bekannte oder Unbekannte. Ich rede gerne und viel, und er ist immer ein guter Zuhörer. Einer, der mir nicht „die Welt erklären“ will, sondern einer, der mich ernst nimmt, versucht, mich zu verstehen und empathisch teilhat an meinen Gedanken. Aber auch einer, der zu vielen Dingen eine eigene Meinung hat, oft eine ähnliche wie ich, oft aber auch im Detail abweichend, manchmal auch schlicht mit fundierterem Wissen als ich unterfüttert. Ich kann wunderbar mit ihm diskutieren, er denkt kreativ und unkonventionell und überrascht mich immer wieder mit neuen Sichtweisen oder von mir unbedachten Aspekten.
Gemeinsames Erleben. Spazierengehen/ wandern, Orte anschauen, Gegenden erkunden, Pilze sammeln, Menschen treffen, Musik hören, fernsehen, Zug fahren, Gartenarbeit machen, etwas im Haus bauen oder gemeinsam an etwas arbeiten, zusammen sitzen und über das Leben philosophieren, uns gemeinsam betrinken.
Hilfe und Unterstützung. Bei finanziellen Problemen oder wenn ich mit einem Kunden nicht klarkomme. Meine Gedanken und Theorien überprüfen. Strategien entwickeln. Unangenehme Anrufe erledigen. Mir etwas anschrauben. Den Wasserhahn reparieren und den Abfluss reinigen. Da sein.
Dinge gemeinsam tun. Reden und zuhören. Sich gegenseitig unterstützen. Eben: Zusammen sein.
Das ist die Essenz unserer Beziehung, und das ist auch nicht mal eben zu ersetzen, denn gerade durch die alltägliche Vertrautheit entstand hier über mehr als 16 Jahre eine ganz besondere Qualität des gegenseitigen Verstehens und Umgangs miteinander.
Der Tag:
Ich versuche jetzt, mir meine Tage so zu strukturieren, dass ich vormittags Telefonate und Orga-Kram erledige und nachmittags Projektarbeit für Kunden. Die meisten Ämter erreicht man ohnehin eher vormittags (wenn überhaupt).
Heute also:
Vergeblicher Anruf beim Amtsgericht wegen der „nicht ersichtlichen“ Dringlichkeit meines Betreuungsgesuchens. Am Ende ein Fax geschickt. Ob das angekommen ist? Man bekommt keinerlei Rückmeldung.
Diverse Unterlagen einscannen, einen Auskunftsbogen für die Betreuungsbehörde ausfüllen, scannen und verschicken.
Beim Finanzamt Fristverlängerung für H.s Umsatzsteuer-Voranmeldung beantragen (geht zum Glück telefonisch).
Mails von H.s Kund:innen beantworten und eigene an Leute schreiben, bei denen demnächst eine Software-Lizenz verlängert werden muss.
Geld zwischen Konten hin- und herschaufeln.
Mails an eigene Kund:innen schreiben.
Längeres Telefonat mit der Lieblingskundin.
Ebenfalls längeres Telefonat mit einem sehr kompetenten Menschen beim Sozialdienst der Klinik zum Thema Rückkehr in die Krankenversicherung. Dabei Hoffungsvolles gehört.
Zwei Abschlagsrechnungen an die Lieblingskundin gestellt für Projekte, an denen wir in naher Zukunft arbeiten werden.
M. war vormittags in eigenen Angelegenheiten unterwegs, das war mir mal ganz recht. Ich war auch gut abgelenkt und durch die positiven Nachrichten in Bezug auf die Krankenversicherung geflasht.
Mittags kurz raus, dabei die Inhaber vom Kiosk getroffen und ihnen von H. erzählt. Er ist dort Stammkunde, holt praktisch jeden Tag sein Feierabendbier und Kippen dort. Sie waren nicht übermäßig betroffen, vermutlich hören sie solche Geschichten häufiger.
Dann zur Post.
Nachmittags dann Projektarbeit für meine Kunden (aktuelles Projekt der Lieblingskundin) und noch ein paar Mails an H.s Kund:innen, die auf meine vormittägliche Anfrage geantwortet hatten.
Im Krankenhaus erreiche ich keinen Arzt – „er ruft zurück“. Das ist immer saublöd, denn dann weiß ich nicht, wie lange ich warten soll und wann ich es nochmal versuchen kann, ohne zu aufdringlich und nervig zu werden. Denn so ein Rückrufversprechen geht im Stationsstress schnell mal unter, kann ich mir vorstellen.
Anderthalb Stunden später rufe ich dann doch an; der Arzt sei immer noch beschäftigt, kommt aber ganz kurz ans Telefon.
Die Nachrichten seien leider nicht gut, H. gehe es eher etwas schlechter, er habe erhöhte Temperatur, sie seien „am Austarieren“, wo sie jetzt am ehesten gegensteuern müssen.
Tja, so ist das. You win some, you lose some.
Dass der Arzt irgendwie besorgt zu klingen scheint, versuche ich auszublenden und mich an den guten Nachrichten des Tages (Krankenversicherung) festzuhalten.
Kurzer Anruf bei H.s Schwester; heute übernimmt der Schwager, er ist eher Pragmatiker und vermittelt mir nicht das Gefühl, ich frage bei den Ärzten nicht genügend nach. Die Schwester hätte gerne etwas zum festhalten, klare Gewissheiten. Dass die momentan keiner liefern kann, fällt ihr schwer zu akzeptieren und auszuhalten.
Mir ja auch, aber ich steuere mit dem Kopf gegen und habe durch den direkten Kontakt mit den Ärzten vielleicht mehr Vertrauen in deren Tätigkeit und Bemühen als jemand, der Informationen nur aus zweiter Hand erhält.
M. geht mir langsam ein ganz klein wenig auf den Wecker – ein weiteres Zeichen dafür, dass so etwas wie Alltag eintritt, man schleicht nicht mehr vorsichtig, behutsam und betont rücksichtsvoll umeinander herum.
Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie so schnell und unkompliziert bereit war, bei mir zu sein, aber nun habe ich den Eindruck, sie möchte gar nicht mehr gehen. Vermutlich war ihr Hilfsangebot auch ein Großteil Selbstzweck, eine Chance, der eigenen Einsamkeit für eine Weile zu entkommen.
Zum Abendbrot die zweite Hälfte Kartoffel-Fenchel-Auflauf; im Fernsehen nichts Wahres, Barnaby würde M. nerven, also irgendeine Doku über irgendwas Antikes.
Woran ich mich erinnern will:
Und wieder fällt mir ein Mount Everest vom Herzen.
What I did today that could matter a year from now:
Mich mit dem Thema Krankenversicherung beschäftigen.
Was wichtig war:
Reden.
Zuhören.
Widersprechen.
Aktiv sein.
Hoffen.
Begegnungsnotizen:
M (aktuelles Haushaltsmitglied).
Kiosk-Inhaber (Vater und Sohn; alle ohne Maske, aber draußen und mit Abstand)
Personal und Kund:innen in der McPaper-Post (alle mit Maske und leidlich Abstand, Personal ohne Maske mit Spuckschutz)